„Nur leben, nur sterben – inmitten von weder Leben noch Tod“
Manchmal walke ich morgens durch den nahe gelegenen Park. Die Spazierwege sind kleine Alleen, gesäumt von Bäumen der Zierkirsche und gerade verzaubert von einem weiß-rosa Blütenrausch soweit das Auge reicht. Zart-süßer Duft mischt sich in die frische Morgenluft und die Amseln betören das Ohr mit ihrem Jubilieren. Die Natur ist erwacht und sprüht vor unbändiger Lebenskraft, die mitreißt und deren Schönheit tief anrührt.
Und gleichzeitig ist da eine unwiderlegbare Realität auf unserem Planeten Erde, dessen Lebendigkeit in bedrückender Weise bedroht ist: Wir leben in der Zeit einer der größten Artensterben in der Erdgeschichte, Frucht der kollektiven Lebens-Art der Spezies Mensch. Die Zahl der in rasanter Geschwindigkeit sterbenden Arten ist unermesslich.
Wenn wir zu Beginn des Zazen die großen Gelöbnisse sprechen, richten wir uns darauf aus, in Einheit mit allen Lebewesen zu leben, das bedeutet auch, in Einheit mit den aussterbenden Arten zu sterben. Ein alter Meister sagt: „Nur leben, nur sterben – inmitten von weder Leben noch Tod“.
Dieses Sterben braucht unseren ganzen Mut, genau hinzuschauen was ist und wahrzunehmen, wie wir unsere eigene Lebendigkeit einfrieren. Das Sterben verlangt das Wagnis, die vermeintliche Sicherheit von routinierter Kontrolle, von gewohntem Komfort und Konsum als betäubende Beengtheit zu entlarven und ihre destruktiven Wirkungen zu realisieren. Wir werden konfrontiert mit unserer Angst, mit Schmerz und Trauer. Jedoch nicht nur dies: wir können sie tief durchdringen und uns in radikaler Offenheit dem Nicht-Wissen überlassen.
So hineingefallen in das Nicht-Wissen gleichen wir einem Samenkorn in der Erde, das im Verborgenen stirbt, sich wandelt und kraftvoll-zart keimend erwacht in die pure schöpferische Lebendigkeit des gegenwärtigen Augenblicks.
Es ist die Stille, die in uns Tore öffnet für diese Quelle nie versiegenden, unauslotbaren Lebens, sprudelnder Kreativität und unwiderstehlicher, alles durchdringender Verbundenheit.
Ich wünsche Ihnen und Euch ein tief wurzelndes Vertrauen in das Nicht-Wissen und
ein frohes Osterfest
Gabriele Shinmyo Geiger-Stappel
Dieser Beitrag wurde für den newsletter des Zenzentrum Offener Kreis Luzern Ostern 2024 erstellt. |